Donnerstag, 5. Oktober 2006

Going Nomadic. Mobile Learning in Higher Education

Bryan Alexander, Going Nomadic. Mobile Learning in Higher Education. EDUCAUSE Review, vol. 39, no. 5 (September/October 2004): 28–35 [meine Übersetzung]

„What does a campus look like when students are accustomed to reaching the Internet from wherever they stand, stroll, or lounge?“ fragte sich 2004 Bryan Alexander, und prophezeite, dass Schüler und Studenten „digitale Nomaden“ werden (im Folgenden meine Übersetzung):

„... Die Lage erinnert mich an Franz Kafkas kurzen Text ‚Ein altes Blatt’, dem Bericht vom Erscheinen einer Nomadenarmee in der Hauptstadt einer imperialen Hochkultur. Die Bewohner sind völlig davon überrascht, als plötzlich die Nomaden in der Stadt auftauchen. Ohne Vorwarnung sind sie überall, zwischen den Ansässigen, auf den Straßen und Märkten. Sie schlagen ihre Zelte auf, nehmen sich, was sie brauchen, Verständigung mit ihnen ist nicht einmal durch Zeichensprache möglich.

Die Situation wird aus der Sicht eines verunsicherten Ladenbesitzers rekapituliert: Das vollkommene Nichtverstehen der Stadtbewohner, aber auch ihr hilfloser Versuch, so zu tun, als seien die Nomaden gar nicht da, und einfach so weiterzumachen wie bisher. Wie das Weltbild Stück für Stück auseinanderfällt, wie die Wirklichkeit entgleitet, während buchstäblich vor der Haustür eine gänzlich fremde Kultur um sich greift.

Es ist eine sehr komische Geschichte, auf Kafkas einmalige Weise, aber natürlich hat sie auch eine Moral, insbesondere für uns, die in der Höheren Bildung tätig sind. Schwärme von Nomaden sind bereits eingetroffen auf den Colleges und Universitäten der ganzen Welt.“

Nomaden: M-Learning for Generation Txt

„’Perhaps we are beginning to see the emergence of learning swarms,’ Alexander ventures: ‚We already know the precursors, in the form of interested learners who appear at campus libraries and museums, driven by an experience that excited them, such as a film, a book, or a conversation.

Now the socializing powers of mobility and wirelessness could expand this drive into collaboration. An interested learner could ping a network or site for learning engagement: digital objects, digitally tagged materials, learning objects, instructors, other learners and instigators. We’ve seen a part of this in the global, collaborative use of MIT’s OpenCourseWare.

Are instructors ready to join in learning swarms on their specialties or to facilitate the ad hoc growth and flourishing of such learning swarms? … How should our institutions approach thinking about this possibility? Are we ready to sense which of our students arrive at our campuses with such experiences already under their belts? How do nomadic swarms work with our anthropologically sedentary campuses?’“

Howard Rheingold, M-Learning for Generation Txt. The Feature (Online magazine, 4. November 2004) l

Nomaden: Ein altes Blatt (Kafka #1)

„Es ist, als wäre viel vernachlässigt worden in der Verteidigung unseres Vaterlandes. Wir haben uns bisher nicht darum gekümmert und sind unserer Arbeit nachgegangen; die Ereignisse der letzten Zeit machen uns aber Sorgen.

Ich habe eine Schusterwerkstatt auf dem Platz vor dem kaiserlichen Palast. Kaum öffne ich in der Morgendämmerung meinen Laden, sehe ich schon die Eingänge aller hier einlaufenden Gassen von Bewaffneten besetzt. Es sind aber nicht unsere Soldaten, sondern offenbar Nomaden aus dem Norden.

Auf eine mir unbegreifliche Weise sind sie bis in die Hauptstadt gedrungen, die doch sehr weit von der Grenze entfernt ist. Jedenfalls sind sie also da; es scheint, daß es jeden Morgen mehr werden. Ihrer Natur entsprechend lagern sie unter freiem Himmel, denn Wohnhäuser verabscheuen sie. …“

[>> vollständiger Text online im „Gutenberg-Projekt (deutsch)“]

Digital Generation (Kafka #2)

Godfrey Parkin, Blog posts in „Parkin’s Lot“ (12/2004 und 10/2003)

„Aber die Welt wandelt sich. Diejenigen, die in den bestehenden Unternehmens-Hierarchien tiefer verankert sind mögen es nicht wahrnehmen, aber die Neueingestellten sind heute anders als die damals neuen Mitarbeiter vor zehn oder sogar vor fünf Jahren. Sie sind aufgewachsen mit der neuen digitalen Technologie, und der Freiheit, sogar der Anarchie, die sie in sich birgt.

Werden wir 'erfahrenen' Trainer und Berater die Tatsache einfach ignorieren, dass diejenigen, die unsere Welt bevölkern -- denen wir unsere Dienstleistungen anbieten -- andere Bedürfnisse, Fähigkeiten, Erwartungen, Erfahrungen und sogar Wahrnehmungen haben als die, die wir vor einem Jahrzehnt unterrichtet haben? Werden wir ignorieren, dass diese neuen Technologien neue Kommunikations- und Lernprozesse ermöglichen?

Werden wir wie die Stadtbewohner in Kafka's Geschichte sein, deren Kultur vpn Nomaden verändert wurde, die plötzlich mitten unter ihnen auftauchten und sie zu Fremden in ihrem eigenen Lebensraum machten? ...

... Werden wir marginalisiert werden in unseren eigenen Unternehmen, unfähig, die neue Sprache zu sprechen, unfähig, die Richtung irgendwie zu bestimmen, oder werden wir die Chance wahrnehmen, um neue, besser Arten zu finden und zu entwickeln, um zu lehren, um zu lernen, um selbst zu wachsen?“

Digital Natives? #1

„The single biggest problem facing education today is that our Digital Immigrant instructors, who speak an outdated language (that of the pre-digital age), are struggling to teach a population that speaks an entirely new language.“

Marc Prensky (2001), via Beats Biblionetz (dort auch Links zum Online-Originaltext und weiteren Schlüsseltexten)

siehe Kafka:
"Sprechen kann man mit den Nomaden nicht. Unsere Sprache kennen sie nicht, ja sie haben kaum eine eigene. Untereinander verständigen sie sich ähnlich wie Dohlen. Immer wieder hört man diesen Schrei der Dohlen. Unsere Lebensweise, unsere Einrichtungen sind ihnen ebenso unbegreiflich wie gleichgültig. Infolgedessen zeigen sie sich auch gegen jede Zeichensprache ablehnend."

Digital Immigrants

„As Digital Immigrants learn - like all immigrants, some better than others - to adapt to their environment, they always retain, to some degree, their "accent," that is, their foot in the past.“

Marc Prensky (2001), via Beats Biblionetz (dort auch Links zum Originaltext und weiteren Schlüsseltexten)l

Nomaden: Digital Natives? #2

Diana G. Oblinger, Brian L. Hawkins, The Myth about Student Competency: “Our Students Are Technologically Competent”. In: EDUCAUSE Review, vol. 41, no. 2 (March/April 2006): 12–13 [Gute Bibliographie!]

College and university students today seem so technologically competent. When they wake up in the morning, they don’t turn on the TV to find out about the weather; instead they go to the Web site WeatherBug.com. For news, they use CNN.com, not channel 21. Of course, this is after they check to see what instant messages (IMs) they missed while sleeping. To learn about friends, they turn to Facebook.com. Going online for entertainment is normal for them. Computer games, massively multiplayer games, and music downloads are an assumed part of their environment … And when they want to communicate, sending IMs or text messages is as natural as picking up the phone.

There is no question that students go online before they go to the library; Google has become this generation’s reference desk. Watch just about any college or university student. Whether it is taking pictures with a cell phone, downloading ring tones, searching the Web for information, or contributing to Wikipedia or a blog, today’s students seem to have no hesitation about using technology. This is what we’ve come to expect from a generation that has never known life without the Internet.

… But are students competent or just confident? Having no fear is not the same as having knowledge or skill. … But the impression of broad competence slips when percentages are revealed for use of other applications, such as those for presentation development (65%), spreadsheets (63%), graphics (49%), or creating Web pages (25%). Using a variety of applications is just one possible definition of IT competency.

Perhaps a more important question is, what is IT being used for? From the perspective of a college or university, learning must be part of that answer—learning that will continue well past graduation. Part of a college or university’s charge is to prepare students not only for today but also for tomorrow. ...

Information literacy is much more than knowing how to open a Web browser and type a search term into Google. Information literacy is the ability to recognize when information is needed and to locate, evaluate, and use that information effectively. Moreover, information literacy is not just a skill required in college; there is “a lifelong need for being informed and up-to-date. …”

Nomaden: Schwärmende Nomaden, verzweifelte Flüchtlinge

Gerade noch einmal Howard Rheingolds kurzen Artikel über Bryan Alexander und seine These von den „swarming nomads“ an US Colleges und Universitäten gelesen. Vielleicht ist es anders an US Universitäten, aber ich habe hier in Europa (jedenfalls im nicht-skandinavischen Europa) noch kaum echte „digitale Nomaden“ gesehen.

Ein paar Versprengte, eine Vorhut vielleicht, die interessant ist, um zukünftige Entwicklungen abzuschätzen … aber weit über 90 % aller der Studenten hier wirken selbst recht desorientiert angesichts der neuen Mediensituation. „Digital Natives“ sehen anders aus, obwohl alle Handys und eMails und sehr viele Google und Wikipedia nutzen.

Was ist also mit uns, mit dem Mainstream der entwurzelten Flüchtlinge, jung und alt, die es verschlagen hat in die „Wüste der Wirklichkeit“?

Die nun gezwungen sind, sich irgendwie durchzuschlagen, in provisorischen Unterkünften lebend, nachdem die Große Mauer, die unsere bürgerliche Bildungskultur schützte, endgültig durchbrochen ist.

Die ratlos sind, jetzt, da die alten verlässlichen Strukturen (die gewohnten Medienstrukturen und Wissensstrukturen) pulverisiert sind, ohne dass neue Strukturen schon wirklich an ihre Stelle getreten wären.

Die versuchen sich warmzuhalten am alten elektronischen Lagerfeuer des Fernsehens und per e-mail verzweifelte SOS-Botschaften aussenden, digitale Mikro-Flaschenpost. Die nun auch schon ständig in ihre mobilen Telefone sprechen, aber noch ohne eine Vorstellung, wie man die alten Medien-Nutzungsgewohnheiten (internalisiert/personenbezogen, intensiv, fokussiert) der neuen Medien-Umwelt (externalisiert, fragmentiert, beiläufig, vielschichtig) anpassen kann.


Die auf die Bildschirme starren und das Google Orakel befragen, aber immer noch sich zurücksehen nach der Großen Kaiserlichen Bibliothek und dem Großen Kaiserlichen Archiv, damals, als die Hochkultur noch in voller Blüte stand.

(Doch natürlich hatten nur die Wenigsten damals wirklichen Zugang zu diesen Schätzen, während die meisten sich begnügen mussten mit fehler- und bruchstückhaften Abschriften, aus dem Kontext gerissenen Exzerpten, mit denen all die anderen Städte und Dörfer des Reiches überflutet worden waren von den lügnerischen Gesandten des Allerhöchsten Kaiserlichen Hofes …)

[Ursprünglich nglisch gepostet am 31. Juli 2005, Mediatope-Blog, http://phaidon.philo.at/martin/archives/000297.html]
Nomaden: Schwärmende Nomaden, verzweifelte Flüchtlinge

Gerade noch einmal Howard Rheingolds kurzen Artikel über Bryan Alexander und seine These von den „swarming nomads“ an US Colleges und Universitäten gelesen. Vielleicht ist es anders an US Universitäten, aber ich habe hier in Europa (jedenfalls im nicht-skandinavischen Europa) noch kaum echte „digitale Nomaden“ gesehen.

Ein paar Versprengte, eine Vorhut vielleicht, die interessant ist, um zukünftige Entwicklungen abzuschätzen … aber weit über 90 % aller der Studenten hier wirken selbst recht desorientiert angesichts der neuen Mediensituation. „Digital Natives“ sehen anders aus, obwohl alle Handys und eMails und sehr viele Google und Wikipedia nutzen.

Was ist also mit uns, mit dem Mainstream der entwurzelten Flüchtlinge, jung und alt, die es verschlagen hat in die „Wüste der Wirklichkeit“?

Die nun gezwungen sind, sich irgendwie durchzuschlagen, in provisorischen Unterkünften lebend, nachdem die Große Mauer, die unsere bürgerliche Bildungskultur schützte, endgültig durchbrochen ist.

Die ratlos sind, jetzt, da die alten verlässlichen Strukturen (die gewohnten Medienstrukturen und Wissensstrukturen) pulverisiert sind, ohne dass neue Strukturen schon wirklich an ihre Stelle getreten wären.

Die versuchen sich warmzuhalten am alten elektronischen Lagerfeuer des Fernsehens und per e-mail verzweifelte SOS-Botschaften aussenden, digitale Mikro-Flaschenpost. Die nun auch schon ständig in ihre mobilen Telefone sprechen, aber noch ohne eine Vorstellung, wie man die alten Medien-Nutzungsgewohnheiten (internalisiert/personenbezogen, intensiv, fokussiert) der neuen Medien-Umwelt (externalisiert, fragmentiert, beiläufig, vielschichtig) anpassen kann.


Die auf die Bildschirme starren und das Google Orakel befragen, aber immer noch sich zurücksehen nach der Großen Kaiserlichen Bibliothek und dem Großen Kaiserlichen Archiv, damals, als die Hochkultur noch in voller Blüte stand.

(Doch natürlich hatten nur die Wenigsten damals wirklichen Zugang zu diesen Schätzen, während die meisten sich begnügen mussten mit fehler- und bruchstückhaften Abschriften, aus dem Kontext gerissenen Exzerpten, mit denen all die anderen Städte und Dörfer des Reiches überflutet worden waren von den lügnerischen Gesandten des Allerhöchsten Kaiserlichen Hofes …)

[Ursprünglich englisch gepostet am 31. Juli 2005, Mediatope]
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